PSYT034 Content-Warnung-Warnung

Nach längerer Sendepause ging es diesmal im wesentlichen um drei Themen, die alle jeweils eine Stunde lang behandelt wurden.

Den Einstieg machten die Ansätze von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zur Reform der psychotherapeutische Betreuung und der Ausbildung zum Psychotherapeuten. Während beides grundsätzlich zu begrüßen ist, gehen die nun vorgelegten Konzepte aus Sicht der Psychotalker – und vieler anderer Betroffener – in die falsche Richtung. Vielleicht lässt sich Herr Spahn oder einer seiner Staatssekretäre in einer späteren Sendung ja mal auf eine Diskussion ein.

In der zweiten Stunde schilderte Alexander seine Erfahrungen mit Content- bzw. Trigger-Warnungen in Sozialen Medien, insbesondere bei Mastodon. Wie sieht die Praxis aus? Was soll die Warnungen aus Sicht ihrer Verfechter bewirken? Was hat das mit Traumata und PTBS zu tun? Warum sind solche Warnungen aus psychologischer Sicht fragwürdig? Und gibt es wissenschaftliche Belege für ihre Wirksamkeit?

Den Abschluss bildete eine Diskussion der sogenannten Replikationskrise: Was ist davon zu halten, dass sich die Ergebnisse vieler (v.a. sozial-)psychologischer Studien nicht reproduzieren lassen? Erwähnt werden hierbei sowohl klassische Studien wie das Stanford Prison Experiment (1971) oder die „Münzstudie“ von Bruner & Goodman (1947), als auch Phänomene wie der „publication bias“, das „p-hacking“ oder die Anwendung von Metaanalysen. Der von Sven erwähnte 35C3-Vortrag „Die dreckige Empirie“ von Aiko findet sich hier.

Die Patreon-Seiten der drei Psychotalker findet Ihr übrigens hier: AlexanderSebastianSven.

Kommentare

10 Antworten zu „PSYT034 Content-Warnung-Warnung“

  1. Avatar von Marie
    Marie

    Yeeaah, eine neue Folge.

    Ich bin öfter umgezogen, deswegen hab ich keinen richtigen Hausarzt. Im Sommer war ich bei einer, zu der ich nochmal gehen werde. Vielleicht wird sie mal meine Hausärztin.

    Ich würde mir niemals Psychopharmaka beim Hausarzt verschreiben lassen, vielleicht beim Psychosomatiker. Ich gehe für sowas immer zum Psychiater, auch wenn ich 3 Monate auf meinen Termin warten muss, weil man da weniger böse Überraschungen erlebt beim Einschleichen und mit den Nebenwirkungen von Medikamenten. Sie wissen irgendwie doch genauer, was einem helfen könnte und was eher nicht.

    Der wichtigste Grund zum Psychiater zu gehen: Ich kann da 10 Minuten reden und werde befragt und kann Fragen stellen. Bei so gut wie jedem Allgemeinmediziner wurde ich nach 20 Sekunden bis 2 Minuten aus der Tür geschoben!

    Von einem Nicht-mediziner würde ich auch keine Medikamente nehmen wollen, weil man dann ja eher was gegen psychologische Symptome bekommt, obwohl es ja auch etwas körperliches sein kann. Außerdem haben Psychotherapeuten normalerweise niemanden, der Blut abnehmen und testen kann.

    Ich kombiniere einfach alles. Bluttest und Absprechen, ob es körperlich sein könnte mach ich beim Allgemeinarzt. Meine psychologischen Diagnose hab ich vom psychologischen Psychotherapeuten. Mit beiden Sachen gehe ich zur Psychiaterin und sie erklärt mir, was mir helfen könnte und ob ich ein Medikament bräuchte und was es mir bringen könnte. Dann sind alle informiert und jeder macht sein Ding. Manchmal wurde mir direkt bei der Psychiaterin Blut getestet (Lebenwerte wegen der Medikamente) und dort kann man auch EEG machen. Zum Internisten bin ich gegangen für ein EKG. Irgendwie muss man doch alles beachten und nicht einem Arzt/Therapeuten alle Last aufbürgen einen `heilen zu müssen.`

    So bin ich viel selbstbestimmter und kann meine eigenen Entscheidungen treffen und es vermischt sich nicht alles so extrem durch die Abhängigkeit von einer Person. Wenn ich alles bei einem einzigen Arzt machen müsste, würde ich mindestens 30 Minuten brauchen, um alle Beschwerden durchzusprechen. Das geht nicht, wenn der Hausarzt mich nach 2 min rausschiebt.

    Spahn vergleicht die Anzahl der Psychotherapeuten mit der Anzahl der Hausärzte. Aber ein Hausarzt sieht in einer Stunde 6 Patienten und dann sieht er die in frühestens 3 Monaten wieder, manchmal auch 5 Jahre nicht mehr. Ein Psychotherapeut sieht einen Patienten in einer Stunde und das oft jede Woche über Monate hinweg. Auch wenn es viel weniger Patienten für Psychotherapeuten gibt, kann es rechnerisch sein, dass man mehr Therapeuten braucht als Hausärzte.

  2. Avatar von Marie
    Marie

    Ich kenn das Wort Trigger aus der DBT (Dialektisch-Behaviorale Therapie), wo man Skills lernt, um mit extremen Gefühlen umzugehen.

  3. Avatar von carina
    carina

    Was mir in eurer Diskussion zum Thema content Warnung fehlt ist ein Stück Differenzierung. Ich muss keine PTBS haben um zb durch Darstellungen (sexualisierter) Gewalt in einen Zustand zu kommen, der mich viele Ressourcen kostet.
    Ich bin tatsächlich Veganerin und würde trotzdem keine von den üblichen Schlachthausbildern posten, weil mir klar ist, dass das für Leute extrem verstörend sein kann.
    Und meine Selbstfürsorge reicht auch so weit, dass ich Leuten nicht länger folge, die regelmäßig Presseerzeugnisse posten, die mit Bildern schwer Verletzter aus Kriegsgebieten teasern.
    Das sind für mich Beispiele, bei denen ein sorgsamer Umgang mit Content völlig angebracht ist. Und das ist mE auch kein Content, an den wir uns gewöhnen- oder vor dem wir Ängste abbauen sollten.

    Dass ihr euch an der verpixelten Darstellung von Essen oder Spinnen reibt, geschenkt. Andererseits finde ich es jetzt auch nicht besonders liberal, Leuten zu sagen, dass sie aufhören sollten, ihre communities so zu gestalten, wie es ihnen halt passt, weil aus psychologischer Sicht die anwesenden Phobiker doch lernen sollen, ihre Angst zu konfrontieren. Vielleicht überlasst ihr das den Leuten selbst, so lange ihr nicht in einem therapeutischen Verhältnis zu ihnen steht?

    Und die Aussage, dass die Bitte nach einer CW maximal egozentrisch sei, ist mE nur so halb durchdacht, wenn man berücksichtigt, dass hier um die Verwendung einer UI Funktion gebeten wird. Keine unfassbare Zumutung und mE ein hervorragender Kompromiss zwischen denen, die etwas diskutieren und teilen möchten und denen, die sich eben damit gerade nicht auseinander setzen wollen.

    Gerade bei Mastodon entscheidet man doch mit der Wahl der Instanz für eine community und wer von Triggerwarnungen getriggert ist, der kann sich ja auch eine Instanz suchen, auf der das nicht so gehandhabt wird.

  4. Avatar von Schaper
    Schaper

    Für die Psychotherapeuten Ausbildung könnte ich mir eine Lösung, wie bei den Meterologen, vorstellen. Die bei uns am Fachbereich angegliedert sind und auch in den ersten Semestern die selben Grundvorlesungen wie ein Physikstudent hören, sodass eine gewisse Durchlässigkeit bis zum Ende des Bachelors gewährleistet wird.
    Danach trennt es sich auf Grund der außeruniversitären Anwendung immer weiter auf, damit die Einarbeitungsphase im Unternehmen keinen allzu großer Umbruch darstellt und zügiger vonstatten geht als bei einem „normalen“ Physiker.

  5. Avatar von Mullana

    Aah, mein Herz geht auf bei eurer Content-Warnungs-Diskussion! Ich bin genau eurer Meinung, aber da ich keinen Bock habe, unnötige Diskussionen auf Sozialen Medien auszufechten (und man bei der Art von Diskussion eh immer der Böse ist), halte ich meistens die Klappe.
    Content Warnungen sind sinnvoll für Epileptiker oder bei ab-18-Inhalten, aber nicht für jeden Kleinkram.

  6. Avatar von Max
    Max

    Ich finde es hat Vorteile, wenn Arzt und Therapeut nicht die gleiche Person sind.
    Das fängt bei den sechs probatorischen Sitzungen an; wenn da auch noch Medikamente und Verträglichkeiten reinspielen, sind viele Patienten bestimmt zusätzlich verunsichert.
    Medikamente wirken anders, haben auch Nebenwirkungen oder Absetzerscheinungen. Wer sie verschreibt, sollte auch Blut abnehmen dürfen und Laborwerte und EKG interpretieren können. Ob ein Mittel über Leber oder Nieren abgebaut wird, Medikamentenkombinationen, die sich ausschließen, paradoxe Wirkungen und so weiter, das kann unangenehm bis lebensbedrohlich werden, weiß ich aus Erfahrung.
    Ich weiß dass folgender Vergleich auf beiden Beinen hinkt, trotzdem:
    wenn du Rücken hast, macht auch nicht der Chirurg mit dir Gymnastik.
    Aber Therapie als Kraft- und Dehnübungen der Psyche zu sehen gefällt mir gerade.

    Noch kurz zu Content-Warnungen: bei den Traumatisierten, mit denen ich Bekanntschaft gemacht habe, war es nie absehbar, was sie wann triggern könnte, und so auch nicht verhinderbar, egal wie sehr sich das Umfeld bemüht hat.
    Und ja, zwischen Rücksichtnahme und Bevormundung ist ein fließender Übergang.

  7. Avatar von Flo
    Flo

    Kurzer Gedanke zum Thema Content-Warnung: Wäre das nicht eine Thema, dass sich gerade im Netz recht einfach automatisiert lösen lässt? Die Bilder werden entsprechend des Contents getaggt, durch den Verfasser, durch andere Nutzer und/oder einen entsprechenden Algorithmus (Stichwort Machine Learning). Und jeder Nutzer kann seine eigene, ganz persönliche Triggerliste pflegen („Spinne“, „Essen“ etc.) und bekommt entsprechend die Triggerwarnung. Alle glücklich. 🙂

  8. Avatar von Trolli Schmittlauch

    Ein Aspekt kam mir bei der Diskussion zu Content-Warnungen etwas zu kurz: Das Verbergen von Inhalten, die nicht öffentlichkeitstauglich sind (Porn, Nacktheit, Leichen).
    Das hat natürlich nichts mit dem Triggern psychologischer Ängste/ PTSD zu tun sondern einfach mit gesellschaftlichen Konventionen, dass mein:e Sitznachbar:in im Bus jetzt keinen großen Hentai-Cumshot sehen muss, wenn ich gelangweilt durch meine Timeline scrolle.
    Das Ganze ist natürlich auch von Kulturkreis zu Kulturkreis unterschiedlich.

  9. Avatar von Lisa
    Lisa

    Tolles Format!
    Ich würde gerne mehr zu dem Punkt erfahren, warum Traumata, deren Auslöser Naturkatastrophen sind, vergleichsweise weniger stark ausgeprägt sind, als zu anderen Auslösern. Könnt ihr dafür die wissenschaftlichen Studien zitieren, damit ich es nachlesen kann?
    Vielen Dank und viele Grüße!

  10. Avatar von CoCreeed
    CoCreeed

    Mich würde es interessieren, woher Alexander die Prävalenzzahlen zu PTBS hat? Handelt es sich um 1-jahres oder Lebenszeitprävalenzen? Ich kenne auch nur die USA Lebenszeitprävalenzzahlen (6,4%), aber ich vermute, dass diese sich nicht dramatisch von denen in D unterscheiden werden. Vermutlich durch weniger Waffen etc. niedriger in D, aber nicht soviel, dass sie bei 0,2% liegen. Bei Schizophrenie scheint die Lebenszeitprävalenz zwischen 0,7 und 2% zu liegen.
    Ich stimme euch trotzdem in eurem Konsens über CW zu, in meinen Augen sollten diese nur bei Bildern/Videos, die riskant für Epileptiker, Blutphobiker sind, sowie 18+ Inhalte genutzt werden bzw. eingefordert werden (es kann ja jeder frei entscheiden, ob er persönlich welche nutzt oder es lässt). LG und spannende Folge!

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