Schlagwort: Ankunftsarchitektur
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PSYT029 Flucht in die permanente Temporalität
Diese Sendung ist eine Premiere: Am 6. Mai 2017 war der Psychotalk von den wissenschaftlichen Volontärinnen der Berlinischen Galerie eingeladen, erstmals live vor Publikum zu diskutieren. Das One-Day-Festival „Destination Berlin. Strategies of Arrival Architecture.“ widmete sich ganz dem Thema Flucht und Architektur, also der Wechselbeziehung zwischen Geflüchteten, Flüchtlingsunterkünften im besonderen, Flüchtlingsinfrastruktur im allgemeinen und der Gesellschaft. Zwei Stunden beleuchteten die drei Psychologen diesen Themenkomplex mit Vertretern zweier anderer wissenschaftlicher Disziplinen: Neben Alexanders Frau, der Volkskundlerin Alexa Waschkau, war als Fachexperte René Kreichauf mit auf dem Podium. René Kreichauf ist Stadtforscher in Berlin und Brüssel. Er hat Stadtplanung und -soziologie an der TU Berlin studiert und danach seinen Master in Urban Studies in Brüssel, Wien, Kopenhagen und Madrid gemacht. René forscht zu Migrationsprozessen, sozialräumlichen Ungleichheiten sowie den Dynamiken städtischer Schrumpfung und Transformation. In seiner Doktorarbeit untersucht er die Herausbildung städtischer Asylpolitiken und -praktiken in europäischen und nord-amerikanischen Städten. Eine seiner Thesen – dass die teilweise abschreckende Gestaltung von Flüchtlingsinfrastrukturen politisch gewollt ist – hat breite Beachtung gefunden und René auch immer wieder ins Gespräch mit Politikern gebracht. Auch diese Psychotalk-Sendung begann mit dieser These und wurde kritisch beleuchtet: Wie stark ist die Auswahl und Gestaltung von Flüchtlingsunterkünften der Politik einerseits und dem Pragmatismus andererseits geschuldet? Wie gehen verschiedene Länder mit dem Thema um? Wie unterscheidet sich die heutige Situation von Geflüchteten von der Vertriebener nach dem Zweiten Weltkrieg (Stichwort Lager Friedland)? Im weiteren Verlauf ging es um das gesellschaftliche und politische Phänomen, Flucht nur als temporäres Problem zu behandeln, aber seit Jahrzehnten die gleichen Migrationsdiskussionen zu führen; um die Spannung zwischen nationalstaatlichen und ökonomischen Motiven gegenüber humanitären Pflichten; und wie Flüchtlingswellen wie die von 2015 Missstände in der eigenen Gesellschaft aufzeigen. Natürlich ging es auch um die konkreten psychologischen Schwierigkeiten von Geflüchteten und die psychologischen Auswirkungen von Gemeinschaftsunterkünften: Post-traumatische Belastungsstörungen vor, während und nach der Flucht; der Stress durch u.a. Enge und Lärmpegel in den Unterkünften; der unterschätzte Kulturschock; vor allem aber die fehlenden eigenen Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten und der damit einhergehende Kontrollverlust. Wie relevant ist die Dauer der Zwangsunterbringung? Und gibt es Flüchtlinge, für die so eine Unterbringung positiv ist? Die spannende und immer wieder erhellende interdisziplinäre Diskussion schloss mit den Wünschen für bessere Lösungen: Wie könnte man Flüchtlingsinfrastrukturen besser gestalten?
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PSYT028 Verfolgt vom Mythos
Die Themen dieser Sendung waren eigentlich schon einmal für 2016 geplant, mussten dann aber verschoben werden. Umso besser: Bei der aktuellen Nachrichtenlage scheinen sie aktueller denn je. Beim psychologischen Einstiegsthema ging es um Paranoia. Was verstand man historisch unter diesem Begriff, und welche psychischen Störungsformen unterscheidet man heute? Im Detail erwähnt wurden der eigentliche Wahn, die paranoide Persönlichkeitsstörung, die paranoide Schizophrenie und schließlich die akute paranoide Reaktion. Sebastian berichtete auch von einem Fall aus seiner Praxis mit einer „Wahngemeinschaft“ aus drei Personen (folie à plusieurs). Schließlich wurden als Therapiemöglichkeiten Psychopharmaka und die kognitive Verhaltenstherapie genannt. Im Hauptteil ging es dann um Verschwörungstheorien oder – wie Gast Dr. Michael Blume unsere drei Psychologen gleich korrigierte – genauer um Verschwörungsmythen. Michael Blume ist Religionswissenschaftler und interessiert sich vor allem für die biokulturelle Evolution des Glaubens. Auf seiner Homepage findet Ihr Details zu Michaels zahlreichen Publikationen, er bloggt bei den Scilogs, und 2015 leitete er die Projektgruppe „Sonderkontingent Nordirak“ des Landes Baden-Württemberg, die über 1.000 Frauen und Kinder vor dem „Islamischen Staat“ in Sicherheit gebracht hat. Im Herbst 2016 hat Michael mit Sebastian eine interdisziplinäre Tagung zum Thema Verschwörungstheorien organisiert. Über zwei Stunden lang ging es um Fragen wie: Sind Verschwörungsgläubige psychisch krank? Welche Funktion haben Verschwörungsmythen? Wer glaubt an sie (das Thema von Sebastians Doktorarbeit)? Sind es nun Theorien, Mythen oder Legenden? Was haben sie mit religiösen Dualismus, den Gnostikern und dem Demiurgen zu tun? Welchen Einfluss hat der Zeitgeist auf Verschwörungsmythen und welchen haben (jeweils) neue Medien? Ein dichter interdisziplinärer Themen-Teppich, quer durch die Jahrhunderte, und immer wieder mit Bezug auf grundlegende menschliche Denkprozesse, wie den Attributionsfehler, den Bestätigungsfehler und die eigene Kontrollüberzeugung. Und mit einem bunten Potpourri an Verschwörungsmythen von JFK und 9/11 bis hin zu den Reichsbürgern.